Obere Firstalm - kleine Wanderung, großes Abenteuer

Geschrieben von Felix Gatzka

Sarahs und meine Geschichte begann schon sehr früh. Früher als wir uns erinnern könnten. Wir haben als Kinder so ziemlich alles gemacht was man als gewöhnliches Kind in den 90ern so macht: Völkerball, Fangen, Räuber und Gendarm, Verstecken Fußball, Basketball gespielt, Wasserschlachten, Picknicks und Übernachtungspartys veranstaltet, Baumhäuser gebaut und natürlich Kommissar Rex geschaut. In unserer "Straßengang" gehörten wir stets zu den Kleinsten und jüngsten. Sehr früh haben wir gelernt die Sätze "dafür bist du noch zu klein" oder "das schaffst du nie" zu hassen. Alles was die "Großen" schafften, probierten wir, alles was sie nicht schafften probierten wir auch. So gab es an unserem Spielplatz einen großen Rutschenturm. Neben dem Rutschenturm stand eine gruße Eiche. Diese Eiche hatte genau einen markanten Ast auf der Höhe des Daches des Rutschenturms. Man konnte auf die Eiche klettern, aber nur, wenn man vom Turm zum Baum sprang und sich an diesem Ast festhielt. Für die größeren Kinder war das schon eine große Herausforderung. Als sich Sarah irgendwann traute diesen Sprung zu machen, pendelte sie vor lauter Schwung einmal unter dem Ast hindurch, wie beim Reck. Nur war es ihr nicht möglich, den dicken Ast fest zu halten und so verlor sie den Halt genau als sie mit ihrem Körper in der Waagrechten war, Parallel zum Boden nur ca. 2,7 Meter darüber. Ungefähr eine halbe Sekunde später war das Geschrei groß. Sarah bekam kaum Luft, der Aufprall sorgte für eine Verkrampfung der Atemhilfsmuskulatur. Jeder der eine ähnliche Erfahrung gemacht hat, kennt dieses Gefühl. Ich habe die Erfahrung auch gemacht. Ca. 60 Sekunden nachdem Sarah sie gemacht hat. Mit exakt dem gleiches Ausgang. Wenn einer springt, springen beide. Würde man unsere gemeinsame Zeit auf ein Motto herunterbrechen, wäre es wohl dieses.

Wenn also einer von uns beiden eine spannende Idee hatte, war es nie schwer den anderen von dieser Idee zu überzeugen. Gemeinsam wurde ein Plan geschmiedet, nach Lösungen gesucht um am Ende die Idee umgesetzt. So auch im Dezember 2020. Es war ein kalter Dezember und in den höheren Lagen hatte es schon geschnien. Die Orte im Landkreis Miesbach selber waren größtenteils noch schneefrei. Bereits am Anfang Dezember habe ich schon ein paarmal meinen Rennrodel aus dem Keller geholt und bin mit Freunden die Rotwand heruntergeschlittert. Nach einem dieser Rodelausflüge bin ich zu Sarah gefahren. Ich erzählte ihr von der Tour und wie mich Sabrina bei einem meiner Überholmanöver mit einem beherzten Kick von der Bahn abdrängte und ich direkt in den Wald geschossen bin. Sarah bekam vor lauter Lachen kaum Luft und gleichzeitig sah ich ihr ihre Sehnsucht an. Wir waren früher oft gemeinsam Rodeln. Meistens am Hirschberg. Also fragte ich sie: "Was hältst du davon, wenn du das nächste mal einfach mitkommst? Ich schau, dass ich die Joelette irgendwie modifiziere und dann gehts ab die Post?" Sarah nickte und grinste höchst motiviert. Nachdem ich mir viele Gedanken gemacht hatte, wie wir die Joelette am besten modifizieren, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir sie gar nicht modifizieren. Einen Ski statt dem Reifen würde zwar für ein besseres Gleiten sorgen, im Falle einer Bremsung aber keinen Widerstand mehr erzeugen. Nein, was wir brauchten, sind einfach nur zwei paar Kurzski. Die hatte ich schnell organisiert und schon wurde geplant und umgesetzt. Sarahs und meine Idee traf auf viel Begeisterung und - man kann es sich gut vorstellen - auf noch mehr Warnungen. Klar, Rodeln ist nicht ungefährlich und wir wollten uns auch nicht ausmalen was passieren würde, wenn es einen der Skifahrern schmeißt. Aber mit Schwarzmalerei kommt man in den Bergen nicht weit, schon gar nicht mit Rollstuhl. Daher haben wir uns nicht entmutigen lassen und sind am 31.12. auf die obere Firstalm gewandert. Das Wetter und der Schnee waren perfekt und nach 1-2 Tassen Glühwein auf der Alm, haben Alex und ich uns die Kurzski angeschnallt. Wie immer hatten wir unser Vorhaben in dieser Ausführung davor nicht einmal getestet. Aber das kennt man ja schon von uns. Alex ist ein guter Skifahrer, auch wenn er davor noch nie mit Kurzskiern gefahren ist. Ich war eine zeitlang Skilehrer, aber auch mein letztes mal mit so kurzen Brettern, ist a zeitl her. Daher sind wir beide noch einmal 30-40 Meter einen Hang rauf gelaufen, um das Fahren mit den Skiern zu üben. Ja was soll man sagen, mit diesen Dingern ist es wie Eislaufen...nur halt bisschen anders. Mit vollem Selbstbewusstsein und einem großen Grinsen im Gesicht ging es los. Das Bremsen wurde getestet und das Kurvenfahren. Ich fuhr hinter Sarah und die Schwierigkeit war, dass ich keine Ahnung hatte, was vor mir, bzw. unter mir passiert. Ob eine Eisplatte oder eine Bodenwelle kommt, habe ich genau dann gemerkt, wenn ich darauf stand. Daher beschlossen wir schnell, dass Alex laut schreien muss, wenn wir uns einer speziellen Untergrundbeschaffenheit nähern. Nach 10 Minuten beschlossen wir, den Rollstuhl mehr zu tragen, als rollen zu lassen, damit Sarah noch weniger Schläge auf die Wirbelsäule durch den unebenen Untergrund befürchten muss. Nach 15 Minuten brannten meine Oberschenkel stärker, als sie es jemals nach einem 6-stündigen Skitag im Tiefschnee taten. Nach 20 Minuten kamen wir an den Autos an. Komplett geschafft von der Tour, aber überglücklich. Sarah strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Ich konnte kaum noch stehen. Alex konnte kaum noch die Arme heben. Aber es war wieder ein richtig cooles Abenteuer. Wir sind wieder gesprungen, doch dieses Mal haben wir den Ast nicht losgelassen :)